Das TMS ist tot. Es lebe das TMS!

Am Anfang war das Speditionsbuch – so könnte man die Geschichte der Transport Management Systeme (TMS) beginnen, wenn man sie aufschreiben wollte. Denn tatsĂ€chlich ging es zu Beginn der Entwicklung in der Logistik vor allem darum, den gewohnten Papierprozess zu digitalisieren. Sie erinnern sich vielleicht noch an das mittlerweile schon beinahe legendĂ€re Zitat von Thorsten Dirks, Vorstandsvorsitzender der TelefĂłnica Deutschland von 2015: „Wenn Sie einen Scheißprozess digitalisieren, dann haben sie einen scheiß digitalen Prozess.“ Dieser Logik kann sich niemand entziehen. Deshalb konnte eine sinnvolle Digitalisierung des Speditionsbuches auch nicht bloß darin bestehen, die alten AblĂ€ufe exakt und unverĂ€ndert digital abzubilden. Trotzdem wurden die Transport Management Systeme erst einmal immer umfangreicher.

TMS werden immer komplexer und aufgeblÀhter

„Historisch gewachsen“ – so umschreiben manche die Konstrukte liebevoll, die eigentlich schon lĂ€ngst aus der Zeit gefallen sind. Weil sie im Kern zwar noch ein TMS sind, aber mit so vielen Software-Anbauten, dass sie lĂ€ngst nicht mehr effizient funktionieren. Der Quellcode wurde aufgeblĂ€ht, das Gesamtkonstrukt immer komplexer und schließlich nur noch fĂŒr wenige Entwickler ĂŒberhaupt durchschaubar. Denn viele Speditionen ließen sich ihre Software maßschneidern – weshalb neue Funktionen nicht einfach in den Standard integriert werden konnten. Stattdessen sind manche Systeme inzwischen von einem wahren Inselparadies an Detaillösungen umgeben. Mit einer KomplexitĂ€t, die man bewundern kann, aber einer mitgeschleppten Historie im Code, die nicht mehr zielfĂŒhrend ist. Das klingt nach einer fernen Vergangenheit. Aber solche „historisch gewachsenen“ TMS sind auch heute noch vielerorts im Einsatz. Zum Problem geworden sind sie durch den Kundenanspruch, Optimierungen und neue Lösungen immer direkt im TMS vorzunehmen: Hier noch etwas anbauen und da noch etwas schrauben – schon passt es wieder. Auch fĂŒr Spezialaufgaben, fĂŒr die es eigentlich nie gedacht war. In der Konsequenz schaffen solche aufgeblĂ€hten Systeme lĂ€ngst nicht die erhoffte Effizienz.

Eine moderne Technologieumgebung ist der SchlĂŒssel

Es ist ein wenig, als wĂŒrde man den alten Rundhauber-Lkw aus den 70er Jahren im Fuhrpark ĂŒber die Jahre retten wollen. Hier noch ein paar Sicherheitssysteme, dort noch einen Extra-Katalysator und dann noch eine RĂŒckfahrkamera nachgerĂŒstet – dann lĂ€uft er doch noch weiter! Warum etwas daran Ă€ndern? Mal ehrlich: das wĂ€re doch eine absurde Vorstellung. Aber die digitale Welt ist so herrlich unkonkret. Wenn es nur Code ist, bleibt es schließlich immer noch digital. Wie schlecht kann das schon sein? Ich finde: Es wird Zeit, sich vom TMS zu verabschieden. Damit meine ich vor allem die Vorstellung, dass dieses System als eierlegende Wollmilchsau lebensfĂ€hig wĂ€re. Es gibt lĂ€ngst eine Reihe von prĂ€ziseren Instrumenten, die Informationen anreichern und im TMS sinnvoll ergĂ€nzen können. Technologieumgebung oder auch Ökosystem heißt hier das Stichwort. Dazu ist ein frischer Blick auf das Thema nötig. Das schließt den Willen ein, gewohnte Prozesse aufzubrechen, wenn es nötig ist. Denken Sie an die drastischen Worte von Thorsten Dirks. „Never change a running system“ und doch neue Technologien nutzen wollen, lĂ€sst sich eben nicht mehr miteinander vereinbaren.

Moderne TMS sind Teil einer Technologieumgebung

Das bedeutet beispielsweise fĂŒr uns: Als Microsoft-Partner haben wir unser Produkt in deren Technologieumgebung integriert. Dort steht es nicht isoliert, sondern eingebettet in eine Vielzahl spezialisierter Lösungen – wie beispielsweise der Analysesoftware Power BI (Business Intelligence). Damit lassen sich nicht nur bereits abgeschlossene Leistungen auswerten, sondern auch Prognosen auf der Basis von KĂŒnstlicher Intelligenz erstellen. Mein Kollege Felix Samu hat das Thema BI hier sehr anschaulich beschrieben. Wer solche komplexen Analysen auch noch in sein TMS quetschen will, macht ein operatives Arbeiten mit dem System faktisch unmöglich. Schon allein aufgrund der erforderlichen Vielzahl an Rechenoperationen. Ein klassisches TMS ist sozusagen an die Grenzen seiner LeistungsfĂ€higkeit gestoßen. Es kann nicht mehr aus sich heraus wachsen und weiter komplexer werden. Game Over. Dabei lĂ€sst es sich durchaus sinnvoll erweitern – wenn es die technologische Basis zur Nutzung von Microservices bietet. Damit integriert es ohne Leistungsverlust noch viele weitere Aufgaben. Das Transportmanagement bleibt also wichtiger Bestandteil der speditionellen Gleichung – es wird aber nie mehr die Universallösung fĂŒr alle speditionellen Fragen sein.